Karasura. Untersuchungen zur Geschichte und Kultur des alten Thrakien

Der Fundort Karasura liegt in der Thrakische Ebene nahe der Stadt Čirpan und direkt an der heutigen Autobahn „Thrakia“.
Entstanden ist das Forschungsvorhaben als ein gemeinsames Projekt der Akademien der Wissenschaften der DDR und der Volksrepublik Bulgarien. In den letzten Jahren sind fünf Bände mit einem Teil der Ergebnisse der langjährigen Ausgrabungen in der Reihe „Karasura“ erschienen. Weitere Bände sind in Vorbereitung.
Die natürlichen Gegebenheiten, wie fruchtbare Böden, Wasser und mittelmeerisches Klima, begünstigten schon in der ausgehenden Jungsteinzeit (um 5000 v. Chr.) die Besiedlung am Fundort. Es folgten ihr Siedlungen in der Kupfersteinzeit und in der Bronzezeit bis zum Ende des 3. Jt. Die auf einander folgenden fünf bronzezeitlichen Wälle verhalfen zur Entstehung eines Siedlungshügels am Fundort. Dieser Hügel wird heute Kaleto genannt.
Die am Fundort entdeckten zahlreichen Architekturfragmente weisen auf die frühere Existenz mehrerer römischer Heiligtümer hin. Hier wurden der Gott Apollon und der Heilgott Asklepios mit Telesphoros und Hygieia verehrt. Viele Weihreliefs mit dem Abbild des sogenannten Thrakischen Reiters belegen die kultische Bedeutung des Ortes während der Antike.
Im 4. Jh. wird der Ort im Itinerarium Burdigalense als Station an der großen Heerstraße mit dem Namen Carassura genannt. Die Straße war der kürzesten Landweg, der Europa und den Nahen Osten verband (Karte).

Karte. Die Verkehrsanbindung von Karasura (Wendel 2001, 20, Karte 3)

Griechischsprachige Quellen erwähnen etwa zur gleichen Zeit eine Festung Karasura an der Heerstraße und im 6. Jh. ein Kastell Karasthyra. Diese Festung wurde schon am Ende des 19. Jh. mit den antiken Ruinen auf dem Kaletohügel bei Čirpan identifiziert. In den bisher gelaufenen 18 Ausgrabungskampagnen wurden große Teile der Festungsmauer mit 7 Türmen, 5 Bastionen und 2 Toren, sowie Teile der profane Innenbebauung freigelegt.

Zur Besiedlung von Karasura aus der Zeit zwischen dem 4. und 6. Jh. gehörten zwei Basilika. Eine der Basiliken wurde außerhalb der Festungsmauern entdeckt. Wie die Ausgrabungen belegen, diente sie auch als Grabstätte für einen Teil der Bevölkerung in Karasura in frühbyzantinischen Zeit. Die zweite Basilika befand sich auf der höchsten Stelle des Kaletohügels. Die Bedeutung des christlichen Glaubens unter der Bevölkerung am Fundort spiegele sich nicht nur im Bau der großen Kirchen, sondern auch in den Alltagsgegenständen, wie beispielsweise den Keramiklampen (Abbildung 1).
Am Ende des 6. Jh. führten die Plünderungen und Zerstörungen der von Norden und Nordosten einströmenden Nomaden zum gewaltsamen Ende der Festung. Danach entstand in Karasura eine unbefestigte Siedlung der Slawobulgaren, die bis zum Jahr 971 im Grenzgebiet des Bulgarischen Reiches zu Byzanz lag. Wieder unter byzantinischer Herrschaft entwickelte sich die Siedlung, auch wenn sie nicht von den Raubzügen der Kiewer Russen und den Nomadenstämmen der Petchenegen und Kumanen verschont blieb. Im 11./12. Jh. wurden mehrere große Häuser nördlich des Kaletohügels errichtet. Außerdem wurden große gemauerte Getreidespeicher in den Kaletohügel eingetieft. Möglicherweise wurden sie auf Veranlassung des byzantinischen Kaisers zur Verpflegung der an Karasura vorbeiziehenden Teilnehmer des 1. Kreuzzugs angelegt. In dieser Blütezeit kann die Siedlung mit der von Alexios I. Komnenos für die Paulikianer angelegten Stadt Alexiopolis identifiziert werden. Die Ausgrabungen brachten nicht nur außergewöhnliche Befunde, sondern auch interessante Funde ans Licht, wie ein Mundstück eines Wasserschlauches (Abbildung 2).
Nach der bekannten Route des 2. Kreuzzuges ist anzunehmen, dass er an Karasura vorbei zog. Erst die Teilnehmer des 3. Kreuzzuges hinterließen am Fundort Spuren, die sich neben einigen wenigen Funden, wie einem Fingerring, durch eine die Zerstörung dokumentierende Brandschicht äußern.
Neben den Siedlungsresten wurden auch mehrere Bestattungen ausgegraben, die von den Bewohnern vom Ende des 9. bis ins 13. Jh. hinterlassen worden sind. Die größte erforschte Nekropole mit einigen inventarführenden Gräbern befand sich auf dem Kaletohügel (Abbildung 3).

Die verkehrsgünstige Lage von Karasura erleichterte die Zufuhr von Gütern wie auch den Wandel der Bevölkerung über die Jahrhunderte. Neben chinesischem Porzellan oder in den östlichen byzantinischen Provinzen hergestellten Gläsern und Schmuck wurden auch Spinnwirtel aus Wolhynien oder Gläser und ein Ortband aus Mitteleuropa gefunden.
In der Mitte des 13. Jh. wurde die Siedlung durch einen Brand, möglicherweise während eines Angriffs der Tataren, zerstört und nie wieder aufgebaut.


Abbildung 1. Tröpfenförmige Keramiklampe (4.-6. Jh.). K. N. Rauh
Abbildung 2. Mundstück eines Schlauchgefäßes, hergestellt aus Geweih (7.-11. Jh.). K. N. Rauh
Abbildung 3. Halskette aus dem Grab 11 der Nekropole auf dem Kaletohügel. Glasperlen mit einem Kreuzanhänger aus Steatit (11.-12. Jh.). K. N. Rauh