1. Projektphase (2015-2021)

Im Rahmen des von der DFG umfangreich finanzierten, interdisziplinären Kooperationsprojekts (2015–2021) untersuchte unser deutsch-ukrainisches Forscherteam die sog. Vorstadt von Olbia, die nach bisheriger Lehrmeinung allgemein in das 5./die erste Hälfte des 4. Jhs. v. Chr. datiert. Mittels geophysikalischer Prospektion sollten dabei zunächst großflächig und noninvasiv Aussagen zur Vorstadtgröße getroffen und neue Grabungsareale gezielt verortet werden. Archäologische Feldforschungen dienten anschließend einerseits der Überprüfung und Konkretisierung der geophysikalischen Messungen und sollten andererseits neue Daten zur chronologischen Einordnung der Vorstadtstrukturen liefern. Geochemische Analysen an exemplarisch ausgewählter Keramik bildeten schließlich die Grundlage für eine umfangreiche Datenbasis, die zukünftig Forschungen zur Herstellung sowie Distribution lokaler Keramik ermöglichen.  

Geomagnetische Untersuchungen in Olbia durch Dr. Arno Patzelt. Rechts: Ausschnitt aus dem Geomagnetikplan mit Verlauf der archaischen Fortifikation im Westen Olbias (Fotos: Olbia-Projekt).

Die erzielten Ergebnisse haben unser Bild von der Stadtentwicklung der milesischen Kolonie stark verändert. So gelang etwa mit Hilfe der geomagnetischen Prospektion die spektakuläre Lokalisierung einer in der Forschung bislang völlig unbekannten, mehr als 480 m langen Fortifikation in Form eines Wall-Graben-Systems, das durch anschließende archäologische Untersuchungen an das Ende des 6./Anfang 5. Jhs. v. Chr. datiert werden konnte. Diese Verteidigungsanlage ist nicht nur die früheste Fortifikation Olbias – sie verbindet zudem die in der Forschung ursprünglich getrennt voneinander betrachteten Areale der sog. Kern- und Vorstadt zu einem einheitlichen Siedlungsgebiet und ermöglicht auf diese Weise eine neue Rekonstruktion der olbischen Stadtgeschichte.  

Südprofil des Grabens (links) im Areal HEKP-7 und rekonstruierter Verlauf (rechts) der archaischen Fortifikation
(Fotos: Olbia-Projekt).

Die archäologischen Feldforschungen erbrachten durch die bereits die 2015–2016 planmäßig durchgeführten Ausgrabungen entlang der zentral durch das Forschungsgebiet verlaufenden sog. Weststraße ebenfalls klare Aussagen zur eigentlichen Genese der Siedlungsnutzung, die bereits im letzten Viertel des 6. Jhs. v. Chr. und damit deutlich früher als bislang bekannt ihren Anfang nahm. Zutage traten typische Grubenstrukturen zu Wohn- und Wirtschaftszwecken, die das archaische Olbia weithin prägten.

Grubenstruktur an der sog. Weststraße. Befund und ausgewählte Funde (Fotos: Olbia-Projekt).

Die archäologischen Feldforschungen und geomagnetischen Prospektionen flankierend, wurden im Zeitraum 2017–2021 schließlich als dritte Untersuchungsmethode systematische Keramikanalysen durchgeführt, die in dieser Form ein Novum für Olbia darstellten und der Erforschung zu den Anfängen einer eigenen Keramikherstellung im 6./5. Jh. v. Chr. dienten. Das Ziel war der Aufbau einer aussagekräftigen Datenbank, in der vor allem das keramische Fundspektrum aus unserem Untersuchungsgebiet berücksichtigt wird und die im Idealfall weiterführende Erkenntnisse zur Herkunftsbestimmung und zu lokalen wie auch überregionalen Handelskontakten ermöglicht. Der geochemische Befund lässt zudem – losgelöst von visuellen Kriterien (Form, Farbe und Qualität der Gefäße) – den direkten Vergleich unterschiedlicher Keramiken zu, fokussiert auf die Elementmuster und kann auf diese Weise objektive Kriterien für eine Neubewertung bestehender Forschungsthesen liefern.

Die Ergebnisse der geochemischen Analysen an ausgewählter Keramik aus der Unter-Bug-Region haben unsere Erwartungen in mehrfacher Hinsicht bei weitem übertroffen. So ist es unserem Forschungsprojekt vor allem gelungen, grundlegende Daten für die Frage zur Genese einer lokalen Keramikproduktion zu erzielen. Mithilfe dieser Basisdaten wird es zukünftig erstmals möglich sein, die beiden Herstellungszentren Borysthenes und Olbia trotz ihrer Nähe zueinander (ca. 40 km) geochemisch besser voneinander zu trennen und mittels Distributionsanalysen die Produktions- und auch Handelsaktivitäten dieser nordpontischen Städte beispielhaft anhand der lokalen Keramik zu untersuchen.

Fazit

Die Ergebnisse des deutsch-ukrainischen Kooperationsprojektes aus den Jahren 2015–2021 zeigen, dass die bisherigen Thesen zur Genese und städtebaulichen Struktur des archaischen und klassischen Olbias grundlegend neu überprüft und aktualisiert werden müssen. Der chronologische Ansatz des neu entdeckten Wall-Graben-Systems ab dem Ende des 6./Anfang 5. Jhs. v. Chr. ist dabei von ebenso großer Bedeutung wie das Faktum, dass der eindeutig rekonstruierbare Verlauf der Fortifikation nicht nur die gesamte sog. Vorstadt, sondern auch die östlich gelegene sog. Kernstadt, die zu diesem Zeitpunkt noch über keine eigene Befestigung verfügte, auf der gesamten nordsüdlichen Länge zur Landseite hin abschirmt. Streng genommen haben wir uns damit zunächst selbst widerlegt, da wir zukünftig nicht länger von einer Vorstadt im „klassischen“ Sinne sprechen können, zu deren Erforschung wir zunächst angetreten waren. Schließlich widersprechen auch der neue chronologische Ansatz für den Siedlungsbeginn entlang der Weststraße und der direkt vergleichbare materielle Befund in der Kern- und der sog. Vorstadt der traditionellen Rekonstruktion olbischer Stadtentwicklung. Das von der DFG bewilligte, neue Forschungsprojekt, das an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg angesiedelt ist, widmet sich seit Anfang 2021 dieser Aufgabe.

Siehe dazu: 2. Projektphase (ab 2021).

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